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Oberfläche
eines realen Gegenstandes, z.B. eines Stoffstückes. Überraschenderweise
geben sich dabei auch die monochromen Tafeln als Oberflächen (einer
Wand?) zu erkennen. Das jeweils linke Foto zeigt sich aus der Nähe
noch klarer als aus der Distanz als extrem vergrößerter Ausschnitt
aus einer gedruckten Fotografie. Die vergrößerten Rasterpunkte
lassen vermuten, daß das Foto ein Fundstück aus einer Illustrierten
ist. Die genaue Betrachtung der Arbeiten erfordert also eine Bewegung
des Betrachters, d.h. die Fotoarbeit gibt keinen bestimmten Standpunkt
des Betrachters vor (was eigentlich für die Fotografie durch den
Beobachtungspunkt des Fotografen charakteristisch ist). Damit unterläuft
die Arbeit das uns antrainierte fotografische Sehen und macht deutlich,
daß die Fotografie nur ein Spezialfall bildlicher Darstellung ist.
Die Wahrnehmung wird wieder angebunden an ihre eigentliche Voraussetzung
- die Bewegung im Raum.
Der Künstler selbst spricht bei seinen Arbeiten von ,,Portrait".
Indem er jedoch nicht eine Person portraitiert, sondern die Art und Weise
zitiert, in der in den Massenmedien portraitiert wird, wird sein ,Portrait"
zur Äußerung über diese Art Portraitfotografie. Was sind
Portraits in Zeitungen? Es sind Schnappschüsse. Oft gegen den Willen
der so zum Abbild gewordenen Personen. Schon das Wort Schnappschuß
(der Fortschritt der Kameratechnik hat die Kurzzeitbelichtung, das Einfrieren
des Augenblicks, zur Regel gemacht> macht deutlich, daß es sich
um einen brutalen Akt des Besitzergreifens, des ,,Erlegens" einer
Beute handelt, vergleichbar einem Tötungsakt. Die früher verbreitete
Scheu - bei sogenannten Naturvölkern war es panische Angst - sich
fotografieren zu lassen, ist heute weitgehend verschwunden. Das Fotografieren
von Menschen ist nur ein Sonderfall im allgemeinen Verfügen über
die Welt in Form von Bildern. Aber: Rehabilitiert der Augenbalken, der
unkenntlich machen soll, nicht das Op-fer? Ist es nur eine zynische Geste
oder Ausdruck schlechten Gewissens (wie der Eichenzweig im Maul des erlegten
Wildes)? Oder ist es die alte, tief verborgene Angst vor der Rache durch
den (bösen) Blick? Sind wir wirklich aufgeklärter als die Bilderstürmer,
die die Abbilder mit der Wirklichkeit verwechselten und den Skulpturen
bzw. Bildern die Augen ausmeißelten oder ausstachen?
Bonvie hat in früheren Arbeiten deutlich gemacht, daß er auf
der Seite der Opfer steht, und er hat gezeigt, daß die Aura der
öffentlich zum Opfer gemachten Personen im Bild um so deutlicher
hervortreten kann, je mehr ihre Auslöschung visuell vorangetrieben
wird (Bonvie zitiert hier übrigens eine seiner früheren Arbeiten,
,,Christiane F.").
er Ausschnitt einer (vorgefundenen> Fotografie eines Menschen, die
dadurch erreichte Betonung der abgedeckten Augenpartie und die extreme
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Vergrößerung ins Monumentale zeigen, daß es sich um
mehr handelt als ein bloßes Zitat. Die tautologische Durchschaubarkeit
des Illustriertenfotos funktioniert durch die Vergrößerung
nicht mehr. Das Besondere, auf das sich jede Fotografie richtet, ist
ins Allgemeine gewendet. Es ist keine eindeutige Verwendung des Zeichens
mehr möglich.
Die Größe der Arbeit;, die Spiegelung der Oberfläche,
die Betonung des Objekthaften durch die Rahmung verhindern einen Durchgang
zur Fiktion, wie es beim Betrachten eines Illustriertenfotos der Fall
wäre (und die Vorstellung in Gang setzen könnte, ,,so oder
so könnte die in der Legende bezeichnete Person aussehen oder ausgesehen
haben"). Man weiß, daß der Augenbalken nur juristische
Bedeutung hat. Im moralischen Sinn ist er bedeutungslos. Die Tatsache,
daß die abgebildete Person längst als Beute der öffentlichen
Neugier freigegeben wurde, wird dadurch nicht aus der Welt geschafft.
Die rechteckigen Tafeln neben dem Gesichtsausschnitt geben sich erst,
wie bereits erwähnt, aus der Nahe eindeutig als Fotos zu erkennen.
Bei einigen scheint es sich um Originale zuhandeln (also keine Medienzitate),
bei einigen um adaptiertes Material, das der Künstler gefunden
und als Ausschnitt ver-wendet hat. Der Künstler scheint den Ausschnitt
bewußt so gewählt zu haben, daß ein Rückschluß
von der Oberflächenstruktur des fotografierten Gegenstandes auf
den Gegenstand selbst nicht mehr möglich ist. Stoff konkreter Dinge
scheinen die Bilder nur noch Eigenschaften von Oberflächen zu bezeichnen
(im Sinne von ,,weich", ,,fließend", ,,metallisch hart",
,,rauh"..). Die Plastizität, die aus einigen Bildern spricht,
verweist mehr allgemein auf Volumen und Körperlichkeit als auf
bestimmte Körper. Kurz: Als Zeichen sind sie mehrdeutig. Aus der
Distanz (die blaue verputzte Mauer wird zur monochromen Fläche)
verweisen sie nur noch auf sich selbst, was durch die objekthafte Rahmung,
die die Bilder deutlich von der Wand abrücken, noch betont wird.
Der Eindruck, der aus der Distanz sich aufdrängte, es handele sich
um Fotografien von Makro- oder Mikrostrukturen, wird aus der Nähe
relativiert. Die Größenverhältnisse scheinen der Realität
zu entsprechen. Wenn eine möglichst große Ähnlichkeit
als das Kennzeichen eines Portraits angesehen wird, dann könnten
diese Bilder als Portraits von Dingen angesehen werden. So ergibt sich
ein eigenartiger Widerspruch. Die Ähnlichkeit scheint die Gegenstände
eher zu entrücken (sie können durch das Bezeichnen einer realen
Oberfläche nicht als bestimmte Gegenstände identifiziert werden),
während die Verfremdung und weitgehende Auslöschung im linken
Teil das Bild emotional auflädt und uns die Person näherzurücken
scheint.
Was haben die Tafeln, die wir aus der Nähe einmal als Fotos realer
Gegenstände und zugleich als abstrakte Strukturen identifiziert
haben, mit
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