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Was
charakterisiert ein Foto? Es ist die physikalische Beziehung zwischen
Wirklichkeit und Bild, die ein Foto entstehen läßt und ihm
die zwingende Glaubwürdigkeit verleiht. Das Gesehene (Dargestellte)
hat seine Funktion erfüllt, wenn es sein Abbild auf dem Film hinterlassen
hat. Ohne die fotogra-fischen Elemente als künstliche zu bemerken,
sehen wir im Foto die Dinge an, als seien sie real vor uns. Wie in der
Wirklichkeit unterscheiden wir Wesentliches von Unwesentlichem. Wenn das
nicht funktionieren würde, fänden wir uns in der täglichen
Bilderflut nicht zurecht. Im künstlerischen Bild, wie wir es von
der Malerei kennen, gibt es keinen Unterschied zwischen Wesentlichem und
Unwesentlichem. Die Mittel selbst haben, wie das Dargestellte, Ausdruck
und Bedeutung.
Es ist sinnvoll, sich den Unterschied klarzumachen, bevor man Bildern
gegenübertritt, die sich einerseits als Fotografie zu erkennen geben,
sich aber dem medientrainierten Fotoblick entziehen. Die Irritationen
die Fotos beim Publikum im Kontext von Kunst auslösen, haben zwei
Hauptursachen. Zum einen wird ein Foto aufgrund seiner Entstehungsgeschichte
(es muß etwas Wirkliches vor dem Objektiv gewesen sein) als Reflex
des Realen angesehen. Verkannt wird dabei, daß der Kamerablick längst
die Art und Weise bestimmt, wie wir die Welt sehen. Wir sehen die Welt
in Form von Bildern, und zwar nicht als Bilder im Sinne geistig produktiver
Konstruktion (die Welt ist uns nicht gegeben wie sie ist, sie muß
konstruiert werden), sondern als vorgefertigtes Muster, das über
die technisch reproduzierten Fotos (und Filme als eine Form der Weiterentwicklung
der Fotografie) unsere Sehweise bestimmt. Zum zweiten gesteht man nur
der Kunst zu, unser Bedürfnis nach neuen Bildern zu befriedigen durch
Erfindungen, die unseren Blick im Ästhetischen festhalten können,
ohne sofort Bedeutungen aufzuzwingen. Man genießt in diesem Sinne
die Fähigkeit der künstlerischen Bilder zu lügen, indem
sie uns im unklaren lassen und mit unserer Bedeutungssucht spielen, während
man es den fotografischen Bildern verübelt, wenn sie mehrdeutig sind.
Vielleicht ist es eine tiefsitzende Angst, die hier wirksam ist, eine
Angst, das Gebäude, das wir Mediensüchtige uns als Welt (der
Bilder) gebaut haben, könne Risse bekommen. Denn ein Foto, das den
Regeln der Kunst gehorcht, übt Verrat an unserem Glauben an die Objektivität.
Die Fotografie darf als Kronzeuge für Objektivität die Aussage
nicht verweigern. Wenn sie es doch tut, was dann?
Die neuesten Arbeiten von Rudolf Bonvie führen exemplarisch die Spannweite
vor, in der sich die Fotografie heute bewegt, und diese Spannbreite ist
in jeder einzelnen Arbeit gegenwärtig. |
Die neuesten Arbeiten von Rudolf Bonvie führen exemplarisch die
Spannweite vor, in der sich die Fotografie heute bewegt, und diese Spannbreite
ist in jeder einzelnen Arbeit gegenwärtig.
Insbesondere Portrait 1 und Portrait II wirken auf den ersten Blick
- jedes für sich - wie zwei unvereinbare Blöcke. Links ein
Foto, das trotz starker Bearbeitung und dadurch erreichter Verrätselung
seinen Charakter als Fotografie nicht verleugnet; rechts dagegen eine
Reihe von Tafeln, bei denen abstrakte Strukturen zu dominieren scheinen.
Nur die untere Tafel in Portrait II gibt sich aus der Distanz noch deutlich
als Wirklichkeits-ausschnitt zu erkennen (man identifiziert die plastisch
wirkende Oberfläche eines metallischen Gegenstandes), während
in Portrait 1 die Abstraktion bis zu monochromen Farbflächen getrieben
ist, die den siebenteiligen Block oben und unten einfassen.
Normalerweise wird der Betrachter zuerst die Arbeiten aus einer Distanz
sehen,,zu der die Dimension der offensichtlich zusammengehörenden
acht bzw. vier Teile von Portrait 1 und II nötigen, wenn man sie
zusammenhängend sehen will, also aus etwa fünf bis sechs Metern
Entfernung. Dabei zeigt sich nur der jeweils linke, große Teil
deutlich als Ausschnitt aus der Fotografie eines Gesichtes (vermutlich
einer Frau). Die Augen sind durch einen rechteckigen Balken verdeckt,
wie es in Illust-rierten üblich ist, wenn die abgebildete Person
anonym bleiben soll. Der Ausdruck ,verdeckt" trifft eigentlich
nur für Portrait l zu. Der Balken ist in der vierteiligen Arbeit
(Portrait II) eigentlich nicht vorhanden. Er ist ausgespart, d.h. da
rechts danebenhängenden Rechtecke haben offensichtlich die Größe
des Augenbalkens. Ein Wirklichkeitsbezug, wie er (aus der Distanz>
im linken Teil gegeben ist (eine real existierende Person wurde fotografiert>,
ist im rechten Teil zunächst nicht ohne weiteres zu erkennen. Auch
nicht, ob es sich um vergrößerte Fotos von realen Gegen-ständen
oder um vergrößerte Ausschnitte von vorgefundenen Fotos handelt,
wie im Falle des Portraitfotos im jeweils linken Teil der Arbeiten.
Die Vermutung, daß es sich bei den übereinandergehängten
Tafeln um Fotos handelt, wird offenbar ausgelöst durch die Betrachtung
des Gesichtsausschnittes und seine Identifikation als Foto. Auch erinnern
die kleineren Bilder an Fotos von Mikrostrukturen. Wir sehen also offensichtlich
zum Teil nur, was wir erwarten. Den Beweis, daß es sich um Fotos
handelt, erhalten wir erst, wenn wir nahe an die Arbeit herantreten.
Sie können jedoch nicht eindeutig als Wiedergabe gewöhnlicher
Gegenstände identifiziert werden. Es ist, als ob wir einmal abstrakte
Formen und Struk-turen sehen und im nächsten Augenblick einen Ausschnitt
aus der
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