Bilder nach dem Augenblick
Gedanken zu den Portraits 1 bis III

   
  Was charakterisiert ein Foto? Es ist die physikalische Beziehung zwischen Wirklichkeit und Bild, die ein Foto entstehen läßt und ihm die zwingende Glaubwürdigkeit verleiht. Das Gesehene (Dargestellte) hat seine Funktion erfüllt, wenn es sein Abbild auf dem Film hinterlassen hat. Ohne die fotogra-fischen Elemente als künstliche zu bemerken, sehen wir im Foto die Dinge an, als seien sie real vor uns. Wie in der Wirklichkeit unterscheiden wir Wesentliches von Unwesentlichem. Wenn das nicht funktionieren würde, fänden wir uns in der täglichen Bilderflut nicht zurecht. Im künstlerischen Bild, wie wir es von der Malerei kennen, gibt es keinen Unterschied zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem. Die Mittel selbst haben, wie das Dargestellte, Ausdruck und Bedeutung.
Es ist sinnvoll, sich den Unterschied klarzumachen, bevor man Bildern gegenübertritt, die sich einerseits als Fotografie zu erkennen geben, sich aber dem medientrainierten Fotoblick entziehen. Die Irritationen die Fotos beim Publikum im Kontext von Kunst auslösen, haben zwei Hauptursachen. Zum einen wird ein Foto aufgrund seiner Entstehungsgeschichte (es muß etwas Wirkliches vor dem Objektiv gewesen sein) als Reflex des Realen angesehen. Verkannt wird dabei, daß der Kamerablick längst die Art und Weise bestimmt, wie wir die Welt sehen. Wir sehen die Welt in Form von Bildern, und zwar nicht als Bilder im Sinne geistig produktiver Konstruktion (die Welt ist uns nicht gegeben wie sie ist, sie muß konstruiert werden), sondern als vorgefertigtes Muster, das über die technisch reproduzierten Fotos (und Filme als eine Form der Weiterentwicklung der Fotografie) unsere Sehweise bestimmt. Zum zweiten gesteht man nur der Kunst zu, unser Bedürfnis nach neuen Bildern zu befriedigen durch Erfindungen, die unseren Blick im Ästhetischen festhalten können, ohne sofort Bedeutungen aufzuzwingen. Man genießt in diesem Sinne die Fähigkeit der künstlerischen Bilder zu lügen, indem sie uns im unklaren lassen und mit unserer Bedeutungssucht spielen, während man es den fotografischen Bildern verübelt, wenn sie mehrdeutig sind. Vielleicht ist es eine tiefsitzende Angst, die hier wirksam ist, eine Angst, das Gebäude, das wir Mediensüchtige uns als Welt (der Bilder) gebaut haben, könne Risse bekommen. Denn ein Foto, das den Regeln der Kunst gehorcht, übt Verrat an unserem Glauben an die Objektivität. Die Fotografie darf als Kronzeuge für Objektivität die Aussage nicht verweigern. Wenn sie es doch tut, was dann?
Die neuesten Arbeiten von Rudolf Bonvie führen exemplarisch die Spannweite vor, in der sich die Fotografie heute bewegt, und diese Spannbreite ist in jeder einzelnen Arbeit gegenwärtig.

Die neuesten Arbeiten von Rudolf Bonvie führen exemplarisch die Spannweite vor, in der sich die Fotografie heute bewegt, und diese Spannbreite ist in jeder einzelnen Arbeit gegenwärtig.
Insbesondere Portrait 1 und Portrait II wirken auf den ersten Blick - jedes für sich - wie zwei unvereinbare Blöcke. Links ein Foto, das trotz starker Bearbeitung und dadurch erreichter Verrätselung seinen Charakter als Fotografie nicht verleugnet; rechts dagegen eine Reihe von Tafeln, bei denen abstrakte Strukturen zu dominieren scheinen. Nur die untere Tafel in Portrait II gibt sich aus der Distanz noch deutlich als Wirklichkeits-ausschnitt zu erkennen (man identifiziert die plastisch wirkende Oberfläche eines metallischen Gegenstandes), während in Portrait 1 die Abstraktion bis zu monochromen Farbflächen getrieben ist, die den siebenteiligen Block oben und unten einfassen.
Normalerweise wird der Betrachter zuerst die Arbeiten aus einer Distanz sehen,,zu der die Dimension der offensichtlich zusammengehörenden acht bzw. vier Teile von Portrait 1 und II nötigen, wenn man sie zusammenhängend sehen will, also aus etwa fünf bis sechs Metern Entfernung. Dabei zeigt sich nur der jeweils linke, große Teil deutlich als Ausschnitt aus der Fotografie eines Gesichtes (vermutlich einer Frau). Die Augen sind durch einen rechteckigen Balken verdeckt, wie es in Illust-rierten üblich ist, wenn die abgebildete Person anonym bleiben soll. Der Ausdruck ,verdeckt" trifft eigentlich nur für Portrait l zu. Der Balken ist in der vierteiligen Arbeit (Portrait II) eigentlich nicht vorhanden. Er ist ausgespart, d.h. da rechts danebenhängenden Rechtecke haben offensichtlich die Größe des Augenbalkens. Ein Wirklichkeitsbezug, wie er (aus der Distanz> im linken Teil gegeben ist (eine real existierende Person wurde fotografiert>, ist im rechten Teil zunächst nicht ohne weiteres zu erkennen. Auch nicht, ob es sich um vergrößerte Fotos von realen Gegen-ständen oder um vergrößerte Ausschnitte von vorgefundenen Fotos handelt, wie im Falle des Portraitfotos im jeweils linken Teil der Arbeiten. Die Vermutung, daß es sich bei den übereinandergehängten Tafeln um Fotos handelt, wird offenbar ausgelöst durch die Betrachtung des Gesichtsausschnittes und seine Identifikation als Foto. Auch erinnern die kleineren Bilder an Fotos von Mikrostrukturen. Wir sehen also offensichtlich zum Teil nur, was wir erwarten. Den Beweis, daß es sich um Fotos handelt, erhalten wir erst, wenn wir nahe an die Arbeit herantreten. Sie können jedoch nicht eindeutig als Wiedergabe gewöhnlicher Gegenstände identifiziert werden. Es ist, als ob wir einmal abstrakte Formen und Struk-turen sehen und im nächsten Augenblick einen Ausschnitt aus der