(bäuerlichen?) Menschen handelt. Schärfe, Schattenbildung und Plastizität der Aufnahme lassen den Schluß zu, daß es sich um ein sorgfältig gemachtes Fotoportrait gehandelt hat, von dem ein Ausschnitt gewählt wurde. Auch hier läuft das, was sich als Foto zeigt, der allgemeinen Vorstellung von Portrait zuwider. Alles Individuelle, das normalerweise der Identifikation dient und als Ausdruck von ,,Seele' angesehen wird - vor allem die Augen und der Mund - ist ausgespart. Doch hier hat die Bearbeitung (Verfremdung durch extremen Ausschnitt) die Person nicht in Besitz genommen. Als ob Bonvie zeigen wollte, daß es eine andere Haltung gegenüber Personen vor der Kamera geben kann, die nicht auf Besitznahme beruht, macht er aus der Landschaft einer faltigen Haut ein Zeichen für Alter und Lebensfülle und demonstriert gleichzeitig die grundsätzliche Unabgeschlossenheit eines Bildes von einer Person, eines Bildes, das seine Unvollständigkeit wie ein Bekenntnis zeigt: Menschen bleiben Unbekannte, welches Bild wir uns auch von ihnen machen mögen.
Das fotografische Zeichen verweist weniger auf einen bestimmten Menschen als allgemein auf ,,Alter", ,,Natur', ,,Landschaft' (Bauern leben in offener Landschaft, die Runzeln wirken wie eine Entsprechung). Die Assoziation zu Landschaft, Natur und Alter wird verstärkt durch das zweite darunterhängende Bild von der Oberfläche eines Baumes (offensichtlich eine Platane, die nahelegt, daß es sich um eine südeuro-päische Landschaft handelt). Das dritte Foto wiederum zeigt den Ausschnitt eines (am Körper getragenen) Hemdes mit einem Muster, wie man es von militärischen Tarnanzügen kennt. Man ahnt einen Oberkörper (ist es ein jugendlicher Körper oder ist es der Körper des Alten, der das Hemd unter dem Jeanshemd trägt?). Auch hier stellt sich die Assoziation zur Landschaft ein Tarnmuster sollen Körper in der Landschaft zum Verschwinden bringen). Durch den Verweis auf die militärische Herkunft des Musters wird die Idylle, die aus den übrigen Bildern zu sprechen scheint, gebrochen. Als Bezugspunkt ist das linke, senkrecht hängende Foto formal deutlich ausgewiesen. Die Höhe bestimmt die Hängung der drei waagerechten Bilder. Das senkrechte Bild zeigt einen Wasserfall, wahrscheinlich an einer mit Flechten oder Moos bewachsenen Brunnenanlage oder einer Mauer. Es ist ein durch die Kameratechnik festgehaltener Moment im Fluß (der Zeit). Der Ausschnitt zeigt gerade soviel, wie für die Formulierung eines allgemeinen Zeichens nötig ist. Der Ausschnitt ist überdies so gewählt, daß die zwei untereinanderliegenden Wasserfälle eine symmetrische Form annehmen wie zwei in der Mitte aufeinander treffende Spitzkegel. Das betont eine Symmetrie in der Arbeit wie bei Portrait l und Portrait II (die optische Mitte des linken Teils bestimmt die Mitte des rechten Blocks von drei Teilen). Überdies erinnert das Bild an die Art des Sandverlaufs in einem Stundenglas.

 

So sehr das Thema der Zeit und damit des Alterns und der Flüchtigkeit in bezug auf eine Person und ihre konkret spürbare Umgebung angesprochen ist - also ein durchaus realistisches Portrait vorliegt - und die einzelnen Bilder in einem narrativen Zusammenhang zu stehen scheinen, ist damit auch das Kernthema der Fotografie schlechthin berührt und diese Arbeit ähnlich wie die Portraits l und II auch auf die Ebene eines Diskurses über Fotografie gerückt. Da die Fotografie immer der Beweis von etwas Wirklichem sein muß, ist jede Fotografie auch der Nachweis des Gewesenen.
Jedes Foto ist zugleich ein Dokument des Todes.
Das Anhalten der Zeit im Moment des maschinellen Augenblicks ist fiktiv, nicht objektiv (der Blick in alte Illustrierte oder in das Fotoalbum vom letzten Urlaub beweist: Nichts altert so schnell wie die Fotografie).
Die Kunst allein kann durch das Festhalten des Blicks im ästhetischen Zeichen diesen Prozeß aufhalten oder wenigstens verzögern.
Wir sind als Augenwesen dazu verurteilt, uns die Welt in Bildern vorzustellen - auch wenn wir über sie sprechen oder ,,nur" über sie denken. Wenn wir uns von falschen Bildern befreien wollen, kann dies nicht ohne die Produktion neuer geschehen.
Zuvor jedoch muß das Vertrauen in die Objektivität erschüttert, durch Brechung der Bedeutungen eine neue Freiheit für die Bilder gefunden werden, damit sie ohne ihre Gegenstände, die sie hervorgerufen haben, neue Wirklichkeiten entstehen lassen können.

Bernd Schulz

(im Katalog zur Ausstellung "Rudolf Bonvie, Fotoarbeiten 1978/79, Portrait, Okay Crash" im Badischen Kunstverein Karlsruhe und in der Stadtgalerie Saarbrücken, 1990)