Erich Franz
Rudolf Bonvies » Rhapsodie
nucléaire «
Die Unangemessenheit des Bildes
Gegenüber dem Unfaßbaren,
gegenüber Brutalität und Unmenschlichkeit bleibt ein Bild in
seiner sinnlichen Faßlichkeit immer unangemessen, hilflos befangen
in der Harmlosigkeit seiner Wirkungsmittel. Die Verwechslung der Sphäre
des Bildes mit der Sphäre des Gemeinten - der Wunsch, durch ein Darstellen
das Dargestellte selbst zu treffen - führt unweigerlich zur Sentimentalität
und peinlichen Verharmlosung.
Sicher verweist ein Bild immer
auf eine andere, nicht-bildliche Welt. Wo aber das Angeschaute etwas vermitteln
will, was nicht mehr anzuschauen ist, bleibt nur eines noch möglich:
das Versagen der Gestaltung deutlich zu machen. Nur das erfährt man
als Schrecken im Bild, was es selbst nicht zeigt, was es aber bewußt
macht, indem es ausdrücklich das Zeigen als unangemessen verweigert.
Eine Radierung aus Goyas »Desastres de la guerra« von 1810/13 trägt
den Titel:
»Man kann es nicht ansehen«. Was man sieht, wird durch
die Bildgestaltung als ein Uneigentliches, als ein beredtes Verschweigen
erkennbar.
Dieses vor Augen gestellte
Versagen der Gestaltung, dieser Verzicht auf Bewältigung, dieses
Stummwerden vor Entsetzen ist selten in der Kunst. Viel
öfter wird das Nicht-Begreifen doch wieder überhöht und
gebunden, etwa als mythische Entzogenheit. Wenn aber das Bild sich seine
Wirkung nicht vom Motiv »ausleihen« will, sondern sie in eigener
sinnlicher Intensität herstellen will, dann kann es lediglich seine
eigenen Grenzen, jenseits derer sein Gegenstand liegt,
ins Bewußtsein
heben.
Verborgene Funktionen
Rudolf Bonvies »Rhapsodie
nucléaire«
zielt auf eine Thematik, die sich in doppelter Hinsicht
der Veranschaulichung entzieht, auf die den Sinnen unzugängliche,
verborgene Funktionalität des Atomkraftwerks und auf dessen für
unsere \/orstellung nicht faßbare Zerstörungskraft. Die atomaren
Abläufe sind nur wenigen Spezialisten bekannt, die Strahlungen sind
nicht wahrzunehmen, ihre Auswirkungen wurden bei uns bisher nur von wenigen
unmiltelbar erlebt und sind doch, zumindest seit Tschernobyl, für
jeden bedrohlich, und das Ausmaß und die zeitliche und räumliche
Reichweite ihrer Zerstörungskraft übersteigen die menschliche
Auffassungsfähigkeit.
Wo unsere Sinne und unsere Vorstellung scheitern,
liegt die Stärke des Bildes allein darin, sich mit der Hilflosigkeit
der Sinne zu verbünden und ihr Scheitern vor diesem »Gegenstand« selbst als Erfahrung zu fassen.
Einige von Bonvies Arbeiten
gehen allein von der kühlen Architektur solcher Atomanlagen aus,
von ihren rein funktionellen Bildungen, die von keinem Architekten gestaltet
sind und doch nichts von ihren Funktionen verraten.
Die Anordnung im Bild
erinnert an konstruktivistische Kompositionen etvva von Malewitch oder
Lissitzky, doch verweigern sie deren entscheidendes Wirkungsmittel: die
dem Blick offenliegende, konkrete Bezugsmechanik der Formen. Hier bleibt
alles verborgen, unbegreiflich und eher von magischer Faszination. Das
Sichtbare verhindert den Prozeß des Erkennens. Besonders deutlich
wird diese Unzulänglichkeit des Sehens durch die Verwendung von -
meist von Bonvie selbst aufgenommenen - Fotos. Sie bringen »Reste des
Authentischen« ( Eskildsen ) vor Augen, die den Blicken durch Verflächigung,
Konturauflösung, Vergröberung, Isolierung und Kombination in
der Bildfläche immer weiter entzogen werden. Damit erfährt man
die architektonischen Formen als Zeichen für das, was ohnehin nicht
sichtbar ist, wo es aber auf das, was wir sehen, auch nicht ankommt.
Die
Verfremdungen des Sichtbaren führen den Betrachter zu dem, was er
im Sichtbaren nicht sehen kann,
was er zwar von ihm weiß, aber dennoch
nicht kennt.
Mit dem Verlust der sinnlichen
Erfahrbarkeit verbindet sich jedoch auch ein Gefühl von Faszination.
Bonvie erinnert an Hans Sedlmayrs Definition des »architektonischen
Denkmals«, wie es zu Ende des
18. Jahrhunderts entstand: als Monument
eines »übermenschlich Erhabenen, das in der Form des übergroßen
erscheint« und vor dem allein »das starre Ergriffensein« als
Verhalten noch angemessen ist ( »Verlust der Mitte«, 1948 ). Die
Erfahrung des menschlich nicht mehr Begreiflichen, die die Atomkraftwerke
vermitteln, könnte sie, davon ist Bonvie überzeugt, in derZukunft
einmal als die »Baudenkmäler« unseres Zeitalters ausweisen.
Übrigens hatte der englische Philosoph Burke (1729 - 1797) die Erfahrung
einer Größe,
die unsere menschliche Auffassung übersteigt,
noch in positivem Sinne, im Genuß des Schauers, als »Erhabenheit« bezeichnet. Das Faszinosum des leichtfertig einkalkulierten, unsere Vorstellung
übersteigenden Untergangs - darauf zielte bereits vor zehn Jahren
Bonvies Wiederverwendung eines Ausspruchs der Madame de Pompadour
»Nach
uns die Sintflut«. |
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Zeichen des Unvorstellbaren
In mehreren Arbeiten von Bonvies
»Rhapsodie nucléaire«
sind die gerade noch erkennbaren Umrisse
von Atomkraftwerken mit schemenhaften Andeutungen menschlicher Figuren
kombiniert. Schon beim Motiv versagt die Sichtbarkeit: wenn man es nicht
wüßte, würde man kaum das Atomkraftwerk erkennen ( eine
Arbeit verwendet ein Zeitungsfoto des zerstörten Tschernobyl ). Ebensowenig
käme man von selbst auf die zeichenhafte Bedeutung dieser entmenschlichten,
zerfressenen Körper. Es sind die berühmten Gipsausgüsse
von Menschen, die beim Vesuvausbruch in Pompeji im Jahre 79 n.Chr. umkamen
und als Hohlräume in der Asche erhalten blieben. ( Schon das Motiv
enthält also mehrere Schranken des indirekten Verweises, die ein
Identifizieren des Sichtbaren mit dem Gemeinten verhindern: der Hohlraum
des Menschen, die zeitliche Distanz, das andere Ereignis.)
In Bonvies Fotoarbeiten werden
beide deutlich unterscheidbaren Elemente, die Architektur und die Figur,
zu Zeichen des Unsichtbaren und Nichtsichtbar-zu-Machenden. Wir erkennen
sie gerade noch so weit, daß wir wissen, worum es sich handelt. Und dennoch
wissen wir nicht, worum es sich handelt. Beide Zeichen rufen Erinnerungen
an unentrinnbare Katastrophen wach, die unsere Vorstellung übersteigen.
Das im Bild Schrecklichere, die Figur aus Pompeji, ist es nur deshalb,
weil es uns faßlicher erscheint. Wir wissen: im Grunde ist diese Erfahrung
der Unentrinnbarkeit, die wir mit Pompeji verbinden, die bei weitem harmiosere.
Auch hier nimmt die Fotoarbeit
die Sichtbarkeit des Gegenstandes weg und läßt uns allein noch den Hinweis
auf das nicht-Anschaubare und Nicht-einmal-Vorstellbare. Räumlichkeit,
Oberfläche, Körperlichkeit, Größenverhältnisse, Oben und Unten
der Gegenstände werden entzogen. Die beiden Elemente, Architektur und
Figur, zerstören die Wahrnehmung als ein Ganzes. Sogar die Farbe ist nicht
gegenständlich und schwankt zwischen Farbe und schattenhafter Nichtfarbe.
Was man erkennt, ist ein Schemen ais Zeichen des Unfaßbaren.
Dabei bleibt alles objektiv,
kühl und sehr weit entfernt. Die Formen sind fotografisch aufgenommen,
sie kommen von woanders ins Bild. Die Gegenstände sind zu unterscheiden,
zu benennen und bleiben daher in Distanz zum Betrachter.
( In dieser Objektivität,
dieser Kühle,rationalen Identifizier-barkeit und Zeichenhaftigkeit
verbindet sich diese Serie mit Bonvies früheren Arbeiten; vgl. Katalog
Bielefeld 1985.)
Und dennoch, trotz ihrer Entrücktheit und Verfremdung,
kann man sich dieser Gegenstände nicht erwehren.
Man kann sich dessen
nicht erwehren, was man an ihnen nicht sieht, nicht durchschaut, nicht
erkennt, sich nicht vorstellen kann.
Die Oberfläche der Dinge
ist harmios, und die Lobby tut alles, um diese Oberfläche als Schleier
möglichst dicht zu machen. »Rhapsodie« ist der Name eines atomaren
Forschungs-zentrums in Südfrankreich. Die Bildtitel - nur aus Zahlen
- spielen das Spiel der Verschleierung mit, doch hat rnan einmal verstanden,
daß es sich um Postleitzahlen handelt, dann werden sie zu Zeichen
für ein Reales, bestimmte Atomkraftwerke und ihre geographische Verteilung.
Die Stärke dieser Bilder liegt
in ihrer Unangemessenheit gegenüber der unvorstellbaren, unfaßlichen Wirklichkeit.
Angemessen sind sie gegenüber der sinnlichen Erfahrung.
So zeigen sie
die Kluft zwischen dem, was wir wissen und doch nicht uns vorstellen können,
und jenem Punkt des Scheiterns, bis zu dem allein unsere sinnliche Vorstellung
reicht.
(Katalogtext zur Ausstellung »Rhapsodie nucléaire«
in der Galerie Wilma Tolksdorf, Hamburg, März 1988)
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