dabei zu verbrennen. Er zeigt Dummheit und Intelligenz
gleichzeitig, kritisiert das Medium und benutzt es, denunziert und verführt
in einem Arbeitsgang. Greift er das verwüstete Gesicht von Karin
Baal oder Romy S. auf, so klagt er damit die reißerischen
Portraitisten an, die aus Individuen anonyme Medienopfer machen, aber
er bläst auch die Verletzungen des portraitierten Gesichts auf Großformat
auf. Arbeitet er mit Details von französischen Fotoromanen, die er
mit dem von ihm systematisch eingesetzten schwarzen Balken ausblendet,
so verstärkt er die Dramatik der kitschigen Dramaturgie, anstatt
sie aufzuheben. Schwarzer Balken oder aus Reality Shows übernommene
digitale Verfremdung von Tätern oder Opfern: Man soll sich kein Bildnis
machen, aber Bonvie tut es trotzdem, wenn auch so entstellt, daß
die Vorstellung des Berachters den Rest besorgen muß. Jüngste
Triumphe naturwissenschaftlicher Forschung haben zusammen mit der zunehmenden
Ratlosigkeit der Geisteswissenschaftler nicht nur das modische Smalltalk-Phänomen
der deterministischen Chaostheorie aufgebracht, sondern auch einen erneuerten,
verblüffenderweise wissenschaftlich fundierten Schönheitsbegriff,
Schönheit ist immer auch schrecklich (4), dieser banale
Satz gewinnt durch den naturwissenschaftlichen Kontext neue Bedeutung.
Die Schönheit Bonviescher Fotoarbeiten etwa die verführerisch
schönen Atommeiler der Rhapsodie Nucléaire, aber
auch das scheinbar so strenge Mal lebt von der Ambivalenz,
von einer eigentümlichen und sehr persönlichen Mischung aus
thematischer Ernsthaftigkeit, Mystifizierung des technischen Prozesses
und subversiver Ironie. Dabei kommt auch die Kunst nicht ungeschoren weg.
In seiner Installation Les Beaux Arts warf Bonvie 260 auf
dem Flohmarkt erstandene Dias französischer Kitschmalerei auf eine
leere Staffelei, eine durchaus bösartige Attacke auf Genremalerei
und Postkartenkultur.
Immer spielt der kritische Intellekt Versteck mit Suggestion und Perversion,
wenn in den Portraits nur dem Fotografen selbst bekannte persönliche
Motive auftauchen und scheinbar
|
|
kalte Abstraktionen
sich als intime Fragmente des Alltags entpuppen: ein weibliches Bekleidungsstück
wird zum Fotoporträt im Stil der Colorfield-Malerei, ein runzliger
Hals zur Physiognomie einer ganzen Region. Die protestantische Bild-Scheu
des in Köln lebenden Hugenotten Bonvie vermählt sich mit dem Katholizismus
des rheinischen Barock. Und ganz bewußt läßt der Provokateur
Bonvie in der Rhapsodie Nucléaire, in ENIAC
oder in den anonymen Verkürzungen technologischer Zeichen von Station
Opéra die manchmal überhastete, aber immer faszinierende
französische Neugierde aufs nächste Jahrhundert mit der konservativen
grünen Technik-Angst der Deutschen zusammenprallen.
Selbst die scheinbar so hermetischen Vorstellungsbilder Bonvies
stellen sich bei näherem Betrachten als durchaus sinnliches Experiment
mit der Ratlosigkeit künstlerischer Perzeption heraus. Nicht im Sinne
eines Herumrätselns über Inhalte, sondern in der Hinterfragung
von Verhaltensweisen. Immer beinhaltet die Entfremdung des Bildes auch die
Lust an seiner Faszination. Der Künstler ist Täter und Opfer zugleich,
er sonnt sich dank des feinen Schutzfilms seiner Ironie in der energiespendenen
Wärme von blindmachender Dummheit und tödlicher Intelligenz.
(1) Aus dem Film Letre pour L,
von Romai oupil,1993
(2) Vilém Flusser Bilderstatus,
aus Lob der Oberflächlichkeit,
Bollmann Verlag 1993
(3) Jean Baudrillard Cool Memories II,
Editions Galilée 1990
(4) Friedrich Cramer im Gespräch mit
Florian Rötzer,
Kunstforum Band 124,
November 1993
|
|