Süddeutsche
Zeitung
15./16.Februar 1991
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Ketten von
Bildern
Zur Ausstellung von Rudolf Bonvie im Lenbachhaus
Blaues Ornament:
Der Blick geht aus einem Strandcafé oder einer ähnlichen Lokalität
an einem Münzfernsprecher vorbei über eine Terrasse mit Liegestühlen
auf eine Bucht, in der ein Schiff liegt.
Vom Fußboden des Cafés bis in den Himmel sind die Silhouetten
von mehr als zwei Dutzend weiteren Schiffen montiert. Ein Rad, einer Wählscheibe
ähnlich, spiegelt sich in der Glasfront. Zwei diffuse Flecken rechts
und links über dem Meer erinnern an Explosionswolken.
Alles in Blau.
Heute - mitten im Golfkrieg - macht der Blick des Betrachters aus dem
Meer ein bestimmtes Meer und aus den Schiffen Kriegsschiffe.
Die Flecken werden tatsächlich zu Explosionen, der Münzfernsprecher
läßt an die zahlreichen Telephoninterviews mit Berichterstattern
rund um den Kriegsschauplatz denken. Die Zensur über die Bilder,
die uns nur mehr in stereotyper Minimalauswahl erreichen, beflügelt
unsere Phantasie. Der Krieg wird zu einer überschaubaren Versammlung
von letztlich nichtssagenden Bildern reduziert.
Das Photobild Blaues Ornament stammt von dem 1947 geborenen und in Köln
lebenden Künstler Rudolf Bonvie und ist derzeit zusammen mit zahlreichen
weiteren Photoarbeiten des Künstlers in der Städtischen Galerie
im Lenbachhaus in München zu besichtigen.
Rudolf Bonvie arbeitet nicht mit den Mitteln der dokumentarischen Photographie.
Sein essayistischer Ansatz fragmentiert photographische Aspekte der Realität
und abstrakt wirkende Ausschnitte aus vertrauten Zusammenhängen,
um sie als Einzelbilder zu Serien neuer Bedeutungsangebote zu kombinieren.
Damit setzt er in die Masse der Bildnachrichten, die täglich in unendlicher
Flut auf uns einströmen, Ruhepunkte der Kontemplation und der Umdeutung.
Aus der Bucht wird ein Kriegsschauplatz, aus den Schiffen werden Kriegsschiffe.
Wo Sinnfälliges abwesend ist, schafft es der Künstler durch
seinen Appell an unsere Erfahrungen und Phantasien, Sinn zu stiften. Bonvie
vertraut auf die Mitarbeit des Betrachters.
Die Reihungen von Ansichten von Atomkraftwerken zur mehrteiligen Rhapsodie
nucléaire ist auf den ersten Blick bloß eine Versammlung
von Bildern und Montagen. Das unangenehme Gefühl schleicht sich über
die Farbgebung sofort ein. Bonvie ist listig genug, über die Reihung
und Kettung von Bildelementen in Extremformaten dem Betrachter eigene
Zusammenhänge abzufordern. Seine fragmentierten Werke sind dem Gedankengut
des Strukturalismus nahe. Sein wohlgerahmtes Detailwerk hat nicht die
Rekonstruktion des ursprünglichen Bildgegenstandes zum Ziel, sondern
Synthese.
Er bietet dem Bilderkonsumenten Struktur als Gedankenpuzzle an:
nichts für den alsbaldigen Verbrauch.
(Bis zum 7. April. Katalog 20 Mark.)
WOLFGANG LÄNGSFELD
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