RUDOLF BONVIE
Die Massenmedien liefern uns
alltäglich die erstaunlichsten Bilder.
Für geringste Beträge
erhält jedermann Einsicht in fremdes Unglück, Leid, manchmal auch in Freude,
doch diese eher in Form der Schadenfreude.
Sensationsbilder werden erwartet und geliefert.
Eine wachsende Gier an entsetzlichen Bildern jagt die Reporter und diese
hetzen die Opfer. Bilder werden ohne Fragen und Bedenken nach Menschlichkeit
aufgenommen, den Opfern abgenommen und publik gemacht. Die Maxime der
Auflagesteigerung rechtfertigt dieses Vorgehen und die Methode rechtfertigt
sich durch Hundertausende von Abonnenten, die in irgendeiner Form Gefallen
an den Sensationen finden.
Das schier Unfaßbare der photographischen Momentaufnahme resultiert aus
dem glaubhaft gemachten Anspruch, Bild von Wirklichkeit zu sein und damit
Fragment aus dem Zeitfluß. Das Unwiederbringliche im Moment der Aufnahme,
das Eintauchen der Realität in das "schwarze Loch" der Photolinse
wird in allen Facetten des Todes zum Bild des Staunens, der Betroffenheit
und zugleich der Ohnmacht, die sich in Entsetzen, Wut, sogar in Auslösung
von Handlungen entladen kann.
Die entsetzlichen Zeugnisse, etwa der getroffene Soldat, aufgenommen von
Robert Capa im Spanischen Bürgerkrieg, ebenso wie die Hinrichtung
eines Vietkong durch den Polizeikommissar von Saigon, aufgenommen 1968
von Eddie Adams, haben nachhaltig Betroffenheit ausgelöst.
Vergessen wird bei dieser Betrachtungsweise immer der Standort des Photographen.
Er ist nie im Bild.
Man bekommt keine Vorstellung
von seiner Präsenz. Zumeist zufällige Aufnahmen anderer Photographen
liefern uns in seltenen Fällen Einblick, etwa in Weeges ,"Büro"
unter der Heckkloppe seines Chevrolets.
Wie verhielt sich das wohl
bei den Malern von Schlachtenbildern? Haben die auch ihre Kunst gepflegt,
als andere sich bekämpften, töteten und abschlachteten?
Wo also
ist und war der Bildfinder?
Bonvie geht den Fragen nach,
die eigentlich der Sprachgebrauch allein schon nahelegt. Schnappschüsse
und Bilderschießen führen zu "La chasse photographique est
ouverte" so ein Arbeits- und Ausstellungstitel von 1980. Bonvie begnügt
sich hier nicht mit dem bloßen Nennen und Aufzeigen von Sensationsbildern,
sondern stellt insbesondere durch die kommentierenden Texte die zu den
Aufnahmen publiziert wurden, seine Arbeit in einen bestimmten inhaltlichen
Kontext.
Der Photograph, der den Selbstmörder
zu seinem Suizid begleitet und photographiert, regungslos, ohne einzugreifen
und das Unglück zu verhindern, allein auf seine "guten" Aufnahmen
bedacht: "Die Minute vor dem Tod" und "Photographieren erlaubt" sind
Begleiter auf diesem Weg des Absonderlichen. Bonvie dokumentiert diese
gefundenen Photos mit "Zeitungsausschnitten', in denen immer wieder die
Brutalität der so gewonnenen journalistischen Photos wie auch ihre
Notwendigkeit und das Verlangen danach betont werden.
Diese Auseinandersetzung Bonvies
rnit der "Legitimität von Sensationsbildern" war eingeleitet durch
Arbeiten, die sich aus dem vorgefundenen Photomaterial der Tagespresse
entwickelten. Durch Vergrößerungen auf die Größe
von Gemälden erhielten sie ihre eigene ästhetische Präsenz,
und durch Übermalung, durch schwarze Auslöschungen normalisieren
sie den Gedanken der Verweigerung.
Schließlich ist es ein unzweifelhafter Widerstreit, der in jedem
vor sich geht.
Ein einmal entstandenes und publiziertes Photo ist nicht wieder wegzudenken.
Es ist nicht einfach zu ignorieren, sondern die Bewältigung damit
kann nur durch ein Entgegenarbeiten, Überarbeiten mit der vorhandenen
Vorstellung geschehen.
Ein Großteil der aktuellen Kunst beschäftigt sich damit, aus
der sintflutartigen Menge von Bildern die herauszugreifen, zu sondern
und in eine adäquate Bildform zu bringen, die als wirkliche Sinnbilder
unserer Zeit gelten können.
In dieser Arbeit ist selbstverstandlich ein Gutteil methodischer Überlegung
zum Prinzip des photographischen Mediums beinhaltet. Die Reflexion des
Mediums aber wird überstiegen einmal durch die Kristallisation des
Bildgedankens sowie der historischen Konnotation. Immer wieder aber stoßen
Künstler, die sich mit diesem Phänomen befassen, auf die Ablehnung,
die man wohl berechtigterweise der Entstehung solcher Bilder zugrunde
legen müßte. Die Einsicht, daß einmal gewonnene Bilder
nicht durch Verschweigen und Leugnen sondern nur durch Bearbeiten bewältigt
werden können, mangelt häufig diesen Angriffen.
Bonvie hat sich nach diesen
aufklärerischen Werken, wobei er zum Teil auch in Video arbeitete,
der Formalisierung seiner Themen zugewandt, das heißt, einer bestimmten
thematischen Lösung eigener bildnerischer Vorstellungen.
In der Folge entstehen Bilder, die aus der Kornbination von Zeichen und
durch die Überlagerung mehrschichtiger Phänomene erzielt werden.
Die Frage nach dem Ursprung des Bildes, nach der authentischen Vorlage,
wird dabei überwunden, obschon Fragmente des Bildes jeweils deutlich
bestimmte Ausschnitte der Wirklichkeit zitieren. Seit etwa 1983 schafft
Bonvie zunehmend strukturierte, ästhetische Zeichensysteme, bei denen
immer weniger das Detail mit einer äußeren Wirklichkeit in
Relation gebracht werden kann, bei denen aber dennoch das eine Bildthema
durch Photographie evident wird. Nicht zuletzt in der Arbeit "Rhapsodie
nucléaire" splittert er das Bild in einzelne Bildfragmente auf und verbindet
sie zu neuen Systemen.
Seine Abbildungen erreichen die inhaltliche Signifikanz durch die Qualität
der vorgestellten Farben, Strukturen, Formen und Ikonogramme.
Aufgrund unserer Alltagserfahrung
verbinden wir mit bestimmten Farben Emotionen und sinnliche Qualitäten.
Ebenso erwecken bestimmte Strukturen jeweils wiederkehrend gleiche Empfindungen
und Assoziationsfelder.
Geringfügige Hinweise auf erfahrene Formen genügen, um in Gedanken
zu geschlossenen Formen vervollständigt zu werden.
Schließlich führen wenige bildhafte Zeichen den Betrachter
auf die Spur des Bildganzen. Nicht der wirklich abgebildete, tatsächlich
beschreibbare Gegenstand, sondern der aus diesem Assoziations-, Emotions-
und Konno-tationsfeld entwickelte Bildbegriff konstituiert ein obschon
nicht greifbares, aber um so intensiveres Bild.
Der mimetische Aspekt wird in diesen Arbeiten von Bonvie reduziert zugunsten
einer eigenen Bildwirklichkeit, die sich auf die Vielfall der konstituierten
Bildelemente und ihrer Wirkung berufen.
Das Bild wird also nicht als ein geschlossenes Kontinuum vorgestellt,
sondern erfährt gerade in der Fragmentierung, in der Aufsplitterung
in unterschiedliche Facetten seine eigene Wirklichkeit.
Hier unterscheidet sich Bonvies Photographie prinzipiell vom neusachlichen
Glauben der Abbildbarkeit, wie ihn etwa Renger-Patsch vertrat und wie
dieser letztlich auch in der konzeptionellen, archäologischen Betrachtungsweise
von Hilla und Bernd Becher bis heute virulent bleibt.
Bonvie vertraut vielmehr bei seiner Bildanlage auf den Gedanken, als Künstler
selbst Zeichen und Bilder entwickeln zu können.
Er beschränkt sich dabei nicht allein auf die Möglichkeit innerhalb
eines bestimmten Feldes zu operieren, sondern setzt auf die kombinatorische
Möglichkeit, die durch die Aufteilung auf mehrere Bildtafeln gegeben
ist.
Damit wird zunehmend das semantische wie ästhetische Fragment isoliert
und steht in einer bewußten Distanz zu der Abfolge der anderen Bildteile.
Die Aufbrechung in unterschiedliche Tafeln erlaubt nicht nur das Kontinuum
von Farbe, Struktur und Ikonogramm, sondern auch die Größenrelation
zum zugrundeliegenden Gegenstand zu variieren. Größendifferenzen
innerhalb des Bildes hatte Bonvie bereits in den vorangegangenen Arbeiten
"Rhapsodie nucléaire" eingesetzt. Dabei war es zu ausgrenzenden Feldern,
Einsatzbildern und Überlagerungen, das heißt Schichtungen gekommen.
Anstelle dieses kombinatorischen Verfahrens innerhalb einer Bildfläche
erscheint nun die getrennte Anordnung einer weiterentwickelten, geschärften,
rationalen Methodik zu entsprechen. Zugleich gewinnt das Bildganze nicht
nur durch die Folge der begrenzten Rahmen, sondern durch die Orthogonalität
der umschriebenen einzeinen Bildteile an Klarheit.
Bonvies neue Photoarbeiten visualisieren die Idee, ein Bild als ein Konstrukt
unterschiedlicher Teilansichten formulieren zu können. Die Strukturierung
der Teile zum Ganzen reicht damit ins Zentrum der Bildformulierung.
Helmut Friedel, 1991 |
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