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Bezüge, arbeitet mit dem Moment der Erinnerung. Gipsausgüsse
der Menschen von Pompeji, die bei dem Vulkanausbruch umkamen, werden mit
Architekturausschnitten atomarer Kraftwerke verzahnt. Mit dieser Herausforderung
des Suggestiven, einer Gratwanderung ästhetischer Eingriffe, provoziert
Bonvie eine Betrachtung, die weder die Faszination noch das Pathos ausschließt.
Dieser erste Teil der Arbeit enthält aber auch Bilder; die ausschließlich
von vorgefundenen Baukörpern ausgehen. Hier wird die vermeintlich
harmlose Erscheinung der Architektur auf die kaschierte Funktion zurückgeführt,
in dem Bonvie über Teilsolarisationen, über Kontraststeigerungen
in der Reproduktion und über die kalkulierte Reduktion der aufgenommenen
Objekte eine Abstraktion erreicht, in der sich die Pro-duktionsstätten
in Ruinen verwandeln. Diese Bilder erklären uns keine Zusammenhänge,
sondern machen Vernichtung erfahrbar und verweisen zugleich auf unsere
begrenzte Kenntnis und reduzierte begriffliche Erfahrung. In diesem Zusammenhang
schreibt Erich Franz in der erwähnten Publikation: ,,Die Stärke
dieser Bilder liegt in ihrer Unangemessenheit gegenüber der unvorstellbaren,
unfaßlichen Wirklichkeit. Angemessen sind sie gegenüber der
sinnlichen Erfahrung".
Rudolf Bonvie hat sich im Verlauf seiner künstlerischen Entwicklung
intensiv mit der fotografischen Praxis der 20er Jahre auseinandergesetzt.
In seinen fotografischen Arbeiten verwendet er die von den Pionieren des
Neuen Sehen benutzten Kopier- und Klebemontage in Kombination. Dies bedeutet,
daß das gefundene oder selbst fotografierte Ausgangsmaterial stufenweise
nicht nur geschnitten, geklebt oder übereinandergelegt und dann in
verschiedenen Vorgängen reproduziert wird, sondern es wird in diesen
Stufen auch fotochemisch bearbeitet. Das recherchierte Rohmaterial wird
grundsätzlich als Element einer sich entwickelnden Konstruktion erachtet,
die letztendlich in einem ,,einfachen" Fotobild resultiert. Im Gegensatz
zur Klebemontage oder Collage eliminiert Bonvie durch die verschiedenen
Reproduktionsvorgänge die Authentizität der benutzten Fotobilder.
Das selbst aufgenommene Foto oder das benutzte gedruckte Fotobild bedeuten
für Bonvie verfügbare Quellen, aus denen er neue Konstellationen
entwirft. Ein Vorgang, in dem das fotografische Abbild möglicherweise
bis zur Unkenntlichkeit verfremdet wird und dennoch sind verweisende Versatzstücke
notwendig, um die gesetzten Bedeutungs-zusammenhänge erfahrbar zu
machen.
Der zweite und letzte Teil des Projektes ,,Rhapsodie nucléaire",
in diesem Katalog zusammengefaßt, ist keine virtuose Fortführung
der entwickeltenI Montagetechnik, sondern eher deren Offenlegung. Indem
der Künstler hier dem Betrachter die Stufen seiner Vorgehensweise
punktuell nachvollziehbar werden läßt, bricht er die suggestive
Wirkung seiner vorangegangenen Arbeiten. Diese Beobachtung ist nicht ausschließlich
an den bewußt zurückgelassenen Konstruktionsschnitten seiner
Montagen auszumachen, sondern bezieht sich allgemeiner auf ein entwickeltes
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Selbstverständnis des Künstlers im Umgang mit dem manipuliebaren
technischen Bildprozeß.Das Ausgangsmaterial für diesen Teil
hat Bonvie ausschließlich selber aufgenommen. Dieses soll erwähnt
sein, beansprucht aber keine Betonung des künstlerisch Authentischen.
Dennoch scheint die Lust am Fotografieren Bonvie zu Bildfindungen animiert
zu haben, die sich stärker als zuvor auf die Referenz des Bildes
einlassen (wie z.B. in der Arbeiten 26130). Im Zusammenhang des Zweiten
Teils des Projektes bedeutet diese Orientierung aber nicht die Zuverlässigkeit
der fotografischen Abbildung. Sie reflektiert hingegen einen spezifischen
Aspekt der Erfahrbarkeit. Die Aufnahme der Skulptur, Kunst am Bau eines
Atomkraftwerkes in Frankreich, überträgt als Realfoto bereits
einen Grad der Absurdität, der eigenes Verdrängen und öffentliche
Vereinahmungsbemühungen assoziiert.
Bonvie setzt mit den hier publizierten Fotoarbeiten sein Engagement
für aktuelle Problemstellungen fort, aber veränderte seine
Arbeitsweise.
Diese widersetzt sich eindeutig der Kultivierung künstlerischer
Prinzipien, indem er Überlegungen aus der kritischen Betrachtung
fotografischer Verwendung und Erfahrungen der eigenen Benutzung fotografischer
Prozesse zu einer differenzierten Methode entwickelte. Die Erkenntnis,
daß sich technisch hergestellte Abbilder unserem Vertrauen als
Reflexion des Dargestellten entziehen, ist nicht neu. Aber das aus dieser
Erkenntnis resultierende Verhalten im Umgang mit Fotografien und technischen
Bildprozessen ist noch wenig entwickelt.In den drei letzten Arbeiten
kommt Bonvie auf die Einbeziehung von Texten zurück.
Vom 30. April bis zum 1. Juni 1986 sammelte er alle Zeitungsberichte
des Kölner Stadt-Anzeigers über die Katastrophe in Tschernobyl.
Diese setzte er in Form von Zeitungsspalten zusammen und montierte sie
in chronologischer Abfolge einer Statistik. Entstanden sind daraus drei
Fotoarbeiten, in denen Textnachrichten visuell inszeniert sind, arrangiert
sind als Gebilde, deren Volumen mit der zeitlichen Folge abnimmt. Diese
drei Bilder beenden den Arbeitszyklus ,,Rhapsodie nucléaire".
Ein Versuch des Autors, die öffentliche Rezeption der verheerenden
Folgen der von ihm bearbeitenden Thematik zu visualisieren. Aus diesen
Zeitungsresten, die nur einen Bruchteil möglicher Bedrohung und
Zerstörung belegen, entwirft Bonvie selbstherrliche Türme,
die im Kontext der anderen Arbeiten das Verschwinden der politischen
und moralischen Dimension unseres Zusammenlebens anschaulich machen.
Mit diesen Werken relativiert Bonvie aber zugleich den Wirkungscharakter
von Bildern, aus deren Überproduktion sich der verweisende Charakter
eines Bildes zunehmend verwischt. Bonvies erster Arbeitsteil verführte
uns zur Erfahrbarkeit der eigenen Vorstellungsgrenze, der zweite Teil
verdeutlicht den begrenzten Wirkungscharakter des Bildes, aber betont
zugleich die individuelle Unausweichlichkeit der Auseinandersetzung.
Ute Eskildsen
( Katalog zur Austellung "Rhapsodie nucléaire 2", Museum
Folkwang Essen)
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