Katalogtexte zu den Ausstellungen:
Saarland Museum Saarbrücken, 1994
Kunsthalle Nürnberg, 1994

……..Es geht dabei allerdings nicht darum, die offenen Stellen einfach durch individuelle Vorstellungen zu ergänzen, sondern sie als Anstoß zur gedanklichen Selbstbeteiligung produktiv zu nutzen. Geradezu programmatisch ist diese offene Bildstruktur in der acht­teiligen Arbeit ,fremd' verwirklicht, die in Zusammenarbeit mit Rudolf Bonvie entstand. Der Bildträger ist hier Spiegelglas, dessen Spiegelschicht teilweise abgeschliefen, teilweise ganz abgenommen und teilweise erhalten ist. Jedes der sieben „Bilder“ besteht dabei aus den gleichen Elementen, Streifen, die in unterschiedlicher Proportion und Abfolge angeordnet sind und damit sieben Varianten eines Grundmusters ergeben. Das für die Wahrnehmung entscheidende Element sind die Spiegelstreifen, in denen der Betrachter sich nicht nur sehen kann, sondern sehen muß, will er die Arbeit als Ganzes wahrnehmen. Durch die spiegel-bildliche Konfrontation mit sich selbst ist er veranlaßt auch alle anderen Bildelemente auf sich zu beziehen. Von gegensätzlicher Funktion im Wirkungszusammenhang des Bildes sind die schwarz hinterglas gemalten Streifen, die an ihren Rändern abwechselnd glatt konturiert oder offen ausgefranst sind, sowie die durchsichtigen Partien, von denen die Spiegel­schicht restlos abgenommen wurde. Wird in einem Fall jede Durchsicht verweigert, so wird sie im anderen Fall thematisiert. Das einzig abbildende Element ist das Schriftband, das in verschiedenen Sprachen und verschiedener fotografischer Gestaltung das Wort ,fremd wiedergibt. Damit ist zugleich das Thema angegeben, unter der die Begegnung mit der Arbeit beabsichtigt ist. Denn es geht dabei nicht nur um unterschiedliche Wahrnehmung an sich, sondern darum, auf dem Wege bildlicher Begegnung einen gesellschaftlichen wie persönlich ebenso virulenten Begriff zu untersuchen. Der Begriff ,fremd' ist in der politischen Diskussion durch die aktuellen Probleme von Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhaß präsent, und mögli­cherweise ist es von daher motiviert, wenn eine neue Arbeit sich jetzt auf dieses Thema konzentriert. In der Arbeit selber geht es jedoch weniger um die aktuellen gesellschaftlichen Probleme, sondern um Dimensionen des Begriffs, die auf der existenziellen Ebene angesiedelt sind. .Fremd· provoziert vielmehr mit seinen verschiedenen Bildelementen unterschiedliche Wahrnehmungen von Fremdheit, Entfremdung und Distanz im Verhältnis zu sich selbst und zum umgebenden Raum. Selbstverständlich­keiten wie das Spiegelbild der eigenen Person oder der Blick auf ein Stück Wand des umgebenden Raumes werden im Kontext des Bildes zu unerwarteten Erfahrungen. Die Wand verändert sich unter Glas zu einem Element der Leere, das die Abwesenheit bildhafter Gestaltung spürbar macht, nicht aber vertraute Nähe zum Raum erzeugt, im Schriftband schließlich wird ein Eindruck von Eindeutigkeit erzeugt, der sich bei genauerer Betrachtung auflöst und eine komplizierte Struktur zu erkennen gibt. Es handelt sich dabei nämlich nicht einfach um ein Foto unter Glas, sondern um eine Projektion durch das Glas, das mit seinen an dieser Stelle vorhandenen Resten der Spiegelschicht auf dem Foto eine bewegte Oberfläche ergibt. Auf diese Weise entsteht eine Verdoppelung der Strukturen, ebenso aber auch ihre fototechnisch bedingte optische Umkehrung, die im scheinbar Gleichen minimale Differenzierungen erkennen läßt….

Christine Hopfengart



...Verführt, in das Land des Anderen einzutreten, kann man zum Sklaven dessen Schmerzes werden, und der Rückzug des einen mag gerade deswegen geschehen, weil er meint, zu viel Schmerz zugefügt zu haben. Den Schmerz des Anderen empfinden zu können, ist nicht einfach als Narzißmus abzutun, sondern ist Ausdruck der Verschränkung in tiefster Liebe, die so weit gehen kann, daß ein Rückzug vollzogen wird, weil man meint, zu viel Schmerz zugefügt zu haben, obwohl gerade dieser Rückzug erst die eigentliche Schmerzzufügung sein kann. Unwissenheit über die unterschiedlichen Raumaufteilungen zwischen Partnern, die Auflösung der Grenzen in der Liebe, können dramatischere Folgen haben, als bloße semantische Variationen des Zeichengebrauchs. Verstehen ist auch immer Verstehen der Räume, nicht nur der Zeichen. Im Grunde bräuchten wir Kurse im Raumverstehen. Interessanterweise entspringen Astrid Kleins Arbeiten zur Verschränkung des Raumes selber einer Verschränkung, nämlich der langjährigen Zusammenar­beit mit Rudolf Bonvie. Und dies ist eine geniale Verschränkung, denn Rudolf Bonvie liebt den Spiegel und Astrid Klein das Fenster. Als ich Rudolf Bonvie ken­nenlernte, stand er mit Schutzmaske und Schleifmaschine auf dem Hof vor seinem Atelier und schliff mit einer elektrischen Maschine den Silberbelag von einem großen Spiegel ab .“ Ich bin ein Narziß“, sagte er zur Begrüßung. Aber ist es nicht toll, wenn Narziß arbeitet und den Spiegelbelag abschleift? Er tat es zumindest nur teilweise. Auf einigen Flächen ließ er schattig-wolkige Mattierungen des Belages stehen, und in der gemeinsamen Arbeit mit Astrid Klein bewahrte er immerhin unversehrte 10 % der Spiegelfläche. Diese gemeinsame Arbeit mit Astrid Klein sind 8 große 2, 50 m x 0,80 m umgreifende Flächen auf denen sich Spiegelung, Fensterglas und Zwischenzustände zwischen beiden, sowie durch Schwärze völlig unmöglich gemachte Durchschaubarkeit abwechseln und zwar in wechselnden Konfigurationen. Diese Objekte werden damit zu „Nicht­Objekten“. Man glaubt, einen Gegenstand zu fixieren und sieht sich plötzlich selber. Man glaubt, hindurchschauen zu können und steht dann abrupt vor einem Streifen absoluter Schwärze. Alle Abstufungen des Räumlichen werden hier vorgeführt. Es ist nicht sehr sinnvoll, Wahrnehmung hier noch im Subjekt­-Objekt-Schema zu diskutieren. Man könnte es ohnehin nur, wenn man ein Dritter neben Subjekt und Objekt, ein zusätzlicher 2. Beobachter, wäre. Der erste Betrachter selber kann hier jedoch nicht mehr den Wahrnehmungsstandpunkt einnehmen, da der Raum, der sich dem Betrachtenden eröffnet, ihn selber auf wechselnde Weise mit hineinnimmt und damit auch den Betrachter abstuft. Hier sind Zwischenstadien zwischen dem Bild, das den Betrachter enthält, und dem Betrachter, der das Bild .enthält', auf verschiedene Weise realisiert. Alterität kann hier nicht mehr dingfest gemacht werden. In diesen Raum ist aber nun bei Klein und Bonvie ein Wort hineingegeben, das genau das normalerweise bezeichnet, was im Rahmen von Raumabgren­zungsoperationen erzeugt wird: das Fremde. In jede der acht Tafeln ist in verschiedenen Sprachen das Wort „fremd“ eingefügt, allerdings selber auf eine fremde Weise, nämlich in Spiegelschrift. Die unauflösbare Verschränkung von Eigenem und Fremdem, wie sie die Raumabstufungen von Spiegelung, Fenster, Schwärze und Schattierung eröffnen, findet im rückwärtslaufenden Entziffe­rungsprozeß des Wortes „fremd" ihren Erfüllungsraum. Beim Leseversuch in Spiegelschrift wird die rechte Hirnhälfte in Anspruch genommen, in welcher die spontane Neigung zur Spiegelschrift normalerweise unterdrückt wird, da sie spontanen Lauf der linkshemisphärischen Schrift nicht unterbrechen soll. In dieser rechten Hirnhälfte findet sich das .Eigenste·. Hier sitzt das „Ich", das sich der linkshemisphärischen Zeichen zu bedienen glaubt. Beim Rückwärtslesen wird dieser Ich-Raum jedoch mit dem „fremden· überrascht, dem, dessen er sich mit den linkshemisphärischen Zeichen stets erwehren wollte: Ich erkenne, das fremde ist mein eigenes Erzeugnis, zusätzlich habe ich es sogar schriftlich, was ich bei meinen normalen Codierungen täglich verwirkliche, die Ausgliederung, das Ausschließen, das für anders und fremd halten. Alle diese Erfahrungen mit dem Raum und seinen Verschränkungen würden wieder verloren gehen, wenn wir in die alltägliche Sprache des Konstruktivmus zurück­fallen würden und vom Ich sprächen, das sich seine Wirklichkeit konstruiert. Diese Sprechweise hatte bei der Übersteigung zu simplen Sensualismen einen gewissen Wert. Als deren bloße Umkehrung bewegt sie sich aber auf dem gleichen Banalitätsniveau, auf dem die dritte Dimension des Raumes noch nicht eröffnet ist, in den der außenstehende Beobachter eines ein Bild betrachtenden Menschen sein dualistisches Schema von Subjekt und Objekt, von Ich und Konstruktion des Wahrgenommenen nur sekundär hineinmarkiert und dabei den Raum wieder vernichtet, der bei diesem Vorgang gerade entfaltet wird, denn dieser Raum kann weder dem Subjekt (ohnehin ein seltsames, der Konsistenz des Anderen abgegucktes Konstrukt) noch dem Objekt zugeordnet werden. Erst die Perspektive des Dritten, des externen Beobachters des Beobachtungsvor­gangs, beschreibt jenen Wahrnehmungsvorgang, den wir niemals realisieren. Es wird Zeit, daß wir jenseits von Sensualismus und Konstruktivismus in den Garten einer Philosophie des Raumes eintreten. Der Wahrnehmungsvorgang findet nicht zwischen dem Betrachter und dem Bild statt, dies wäre höchstens die Perspektive desjenigen, der Betrachter und Bild gemeinsam betrachtet. Würde der erste Betrachter den Wahrnehmungs­vorgang so erleben wie der zweite Betrachter, dann wäre es kein Wahrneh­mungsvorgang, sondern ein Abwehrvorgang. Solche Abwehrvorgänge spielen sich tatsächlich ständig ab, da wir gar nicht so sehr wahrnehmen wollen (es gäbe viel zu viel dafür). Wir haben uns schon daran gewöhnt, die Nichtwahr­nehmung als Wahrnehmung zu deklarieren. So wie der zweite Betrachter die .Wahrnehmung· sieht, so läuft sie als Abwehr höchstens zwischen den beiden Hirnhälften ab, in dem Sinne, daß ein sich auf eine Hirnhälfte zurückziehendes Selbstgefühl sich von den Wahrnehmungen der anderen Hälfte freihalten will: Die Sprache bleibt in der Distanz zum Bild, und der Raum versucht die Zeichen aus sich herauszuhalten. Diese Hemisphärenaufteilung kann jedoch unterlaufen werden. In eigenen Versuchen in unserem Labor konnten wir feststellen, daß Bildmaterial, das in eine lange Serie von Sprachmaterial bei Dia-Expositionen hineingemischt wird, auch von der dafür weniger geeigneten linken Hirnhälfte verarbeitet wird. Das bedeutet, daß die Hirnhälften nicht gerne umschalten, und statt arbeits­teilig zu verfahren aus Schalteinsparungen auch schon einmal die Arbeit der anderen Seite übernehmen. In solchen Fällen dringen die Informationen besonders tief ein: Ein Wort in einer Reihe von Bildern oder ein Bild in einer Reihe von Worten. Dann fällt es nämlich auch schwer, sich selber noch so etwas wie ein sich distanzierendes Ich zurechtzulegen. Der Ursprung der Ich-Metapher ist unser Körper, auf den wir zeigen können. In den komplexen Kognitionsprozessen findet sie heute keinen rechten Platz mehr und ist in einer differenzierteren Wahrnehmungstheorie daher auch ohne Erklärungswert (sie hilft eher, die Nichtwahrnehmung zu erklären). Was pas­siert aber, wenn der Ursprung der Ich-Metapher, der eigene Körper, auf den gezeigt werden kann, für ihn selber unerwartet im Projektionsfeld des Gegen­standes erscheint? Rudolf Bonvie hat eine horizontale Tafel von 1,30 Meter Breite hergestellt, die in Augenhöhe des Beobachters hängt. Darauf findet sich der Text .So sehen heute Mörder aus· auf die linke obere und rechte untere Ecke verteilt. Jeweils sind dem Text Bilder der Mörderkinder aus Liverpool mit durch schwarze Balken unerkennbaren Augen zugefügt. Den Silberstreifen in der Mitte des Bildes betrachtet man zuletzt. Dort gewahrt man plötzlich die Augen, die man gesucht hat: der Beobachter steht als Mörder im Text. Der Detektiv ist der Täter, der Beobachter hat den tödlichen Blick. Hier hat sich die innere Reserve, die wir so gerne als Subjektivität beschreiben, plötzlich im Text erwischen lassen. Das Subjekt des Lesens liest sich selber. Es sieht sich nicht in Distanz, denn es sieht sich hier mit der dafür nicht vorgesehenen Hirnregion, mit dem Lesezentrum selber. So kann das Subjekt überrascht werden und seinen ständig als Transzendentalität getarnten Wahrnehmungsverweigerungen entwunden werden. Gewöhnlich retten wir uns dann wieder in die Beobachterperspektive des zweiten Beobachters und reden von Interaktionen zwischen Subjekt und Objekt, um ja die Erfahrung, die wir gemachten haben, schnell wieder vergessen zu lassen und in den Raum des Geistes die Anfangs- und Endmarkierung des tödlichen Speeres wieder einzutragen....

Detlef B. Linke
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